Blog #31a, Marlene (Januar 2024, Süd Indien, Sri Lanka, Teil I)

Vom indischen Schriftsteller Pico Iyer stammen folgende Zeilen: «Was mich wirklich zum Reisen drängt, ist die Aussicht, all das zu verlassen, was ich kenne, und all das zu betreten, was ich nicht kenne. Und möglicherweise niemals verstehen werde»

1000km Strand

Bundesstaat Andhra Pradesh

 

Im Osten grenzt Andhra Pradesh an den Indischen Ozean, der in diesem Abschnitt als Golf von Bengalen bekannt ist. Hier erstreckt sich über fast 1.000 km mehrheitlich unberührter Sandstrand, wobei wir überwiegend indische Touristen antreffen, wenn Besucher unterwegs sind.

 

Es existiert keine Küstenstrasse, die direkt am Meer entlangführt. Zudem ist es manchmal ziemlich knifflig, besonders mit unserem Fahrzeug, sich durch die engen Gassen der Fischerdörfer einen Weg zu einem Strand zu bahnen.

 

Doch wenn wir einen Zugang finden, werden wir mit einem einsamen Strand belohnt. Ausser Fischer und Hirten verirrt sich niemand hierher. Dutzende von Kilometer kann man links oder rechts dem Strand entlangfahren. Nichts als Sand, Krebse, vereinzelte Fischerboote und Kühe begegnen uns. Es ist übrigens Weihnachten. Keine Umgebung um wirklich weihnachtliche Stimmung aufkommen zu lassen. Wir geniessen das Festmahl trotzdem und lauschen dem Rauschen der Wellen zu. 

Bevor ich zu Bett gehe, werde ich unsere Wohnkabine ausräuchern, ein Brauch der Kelten aus den Rauhnächten, um die Geister zu vertreiben – die heute jedoch eher in uns selbst als in unseren Wohnräumen zu finden sind.

 

Ich muss den inneren Schweinehund so richtig überwinden um mich zum Sport zu motivieren. Das gute Gefühl danach treibt mich an, aus dem Bett zu kommen und wir ziehen ein moderates Krafttraining durch. Spätestens um Acht beginnen wir, später wird es einfach zu warm und im Sonnenschein zu schwitzen ist nicht mein Ding.

 

Am folgenden Morgen brechen wir auf, um ein Fischerdorf zu besuchen, das nur über eine Brücke erreichbar ist und sich mitten in den Mangroven befindet. Auf Google Maps scheint es vielversprechend zu sein, und die Lage ist wirklich malerisch. Leider ist es dort ziemlich schmutzig, und an manchen Stellen riecht es unangenehm. Direkt neben der Brückenauffahrt kauert ein Mann und verrichtet seine Notdurft. Diesen Anblick können wir nicht ignorieren, auch wenn wir ihn lieber vermeiden würden. Aber auch das gehört zum Alltag Indiens.

 

Die Herzlichkeit der Menschen ist überwältigend und wir werden überallhin begleitet. Auf dem Rückweg bekommt Dani sogar einen Fisch geschenkt und ist überglücklich. Trotz indischer Sonnencreme habe ich leichten Sonnenbrand auf den Unterarmen. So trägt jeder von uns etwas von diesem anstrengenden Ausflug davon.

 

 

An einem unserer Übernachtungsplätze am Meer, in der Nähe eines Fischerdorfes, wurden in der Nacht Danis Schuhe gestohlen - schon das zweite Mal, dass uns auf diese Weise etwas verlorengeht. Schon im Iran wurden Danis Schuhe gestohlen. Die scheinen ja sehr begehrt zu sein. Hoffen wir, dass sie dem neuen Besitzer passen und ihm viel Freude bereiten, ohne dass er ein schlechtes Gewissen haben muss. Was Shiva und seine göttlichen Kollegen wohl dazu sagen würden, können wir nur erahnen.


In Detroit von Indien

Bundesstaat Tamil Nadu

 

Tamil Nadu ist der südlichste Bundesstaat des Subkontinents. Vorgelagert im Indische Ozean liegt Sri Lanka die beliebte Ferieninsel. Die Hauptsprache ist Tamil, welche ebenfalls im Norden Sri Lankas gesprochen wird.

 

Die Feiertage liegen hinter uns und wir haben sie alleine, ruhig an abgelegenen Stränden verbracht. Für das Jahr 2024 haben wir keine konkreten Vorsätze und hoffen einfach nur, dass wir weiterhin gesund bleiben und einzigartige Erfahrungen sammeln dürfen.

 

Die beiden treuen Haushaltshilfen Mixer und Staubsaugen sind defekt. Was für ein Drama und Zufall sogleich. Die beiden wichtigsten Geräte quittieren fast zum gleichen Zeitpunkt ihre Dienste. Dani setzt sich mit Messgerät und Lötkolben hin. Nach geraumer Zeit sind die Apparate wieder zusammengeflickt. Beide laufen zwar wieder aber der Staubsauger hat erhebliche Herzrhythmusstörungen und beim Mixen muss ich nun den Stab mit der Hand festhalten, da er ansonsten abfällt. Note 3.5!

 

In Chennai, der Hauptstadt von Tamil Nadu lassen wir unserem Unimog die nötige Zuneigung zukommen und entschliessen uns den kleinen Service (Öl, Bremsbeläge) zu machen. Die Firma Bahrat Benz übernimmt diese verantwortungsvolle Aufgabe. Bahrat Benz wurde von Daimler Truck AG ins Leben gerufen, zum Zweck den indischen Markt zu entwickeln. 2012 wurden die ersten Lastwagen ausgeliefert. Bharat ist die Sanskrit-Bezeichnung für Indien, die auf frühe hinduistische Texte zurückgeht ist zudem ist es die amtliche Bezeichnung für Indien.

 

Als wir unser Fahrzeug in die Halle stellen, läuft die halbe Firma zusammen. So ein Teil hat man hier noch nie gesehen. Oh, ein Mercedes Benz mit einem richtigen Stern am Kühlergrill. Das Staunen hat sich gelegt und wir lassen den Sand und die Salzreste vom geschundenen Fahrzeug mit Hochdruck entfernen.

 

Die notwendigen Ersatzfilter für Öl und Diesel sowie die Dichtungen haben wir immer auf Ersatz dabei. Es kann los gehen, altes Öl und alte Filter raus und neue Filter sowie neues Öl rein. Bei der Kontrolle des Ölstands stellt Dani fest, dass nun zu viel Öl im Motor ist. Also nochmals 4 Liter ablassen und gut ist.

 

Wir müssen leider feststellen, dass der defekte Reifen, den wir in Nagaland eingefangen hatten, nicht mehr zu reparieren ist. Auch neue Bremsbeläge sind hier in Chennai nicht erhältlich. Einer der Mechaniker nennt uns einen Kontakt in den Bergen von Tamil Nadu der selber Unimogs hat. Er können uns bezüglich Reifen neuen Bremsbelägen, weiterhelfen.

 

Der Süden Indiens ist entspannter zum Reisen und Stellplätze gibt es in rauen Mengen. Die Menschen sind neugierig jedoch nicht aufdringlich und sprechen oft sehr gut Englisch. Das Essen noch eine Spur schärfer und alles wirkt wertiger. In diesem Bundesstaat sind unteranderem viele IT Firmen ansässig. Chennai ist in der Nähe von Hyderabad, was ihr bestimmt als IT Hochburg kennt. Hier werden auch viele Autos und Lastwagen, u.A. von Bharat Benz, hergestellt und die Stadt trägt den Übernamen «Detroit von Indien».


Auroville, eine Utopie?

Auroville ist eine internationale Gemeinschaft in Südindien, die 1968 gegründet wurde. Sie befindet sich im Bundesstaat Tamil Nadu, in der Nähe der Stadt Puducherry. Die Gründungsidee von Auroville wurde von Mirra Alfassa, auch bekannt als "The Mother", einer spirituellen Anhängerin des indischen Philosophen Sri Aurobindo, entwickelt. Sie war zu diesem Zeitpunkt sage und schreibe schon 90 Jahre alt.

Hier sollen Nationen, Geschlechter, Geld und Religion keine Rolle spielen. Es leben rund 3300 Einwohner aus 60 Nationen an diesem Ort. Es gibt hier Schulen, Spitäler, Landwirtschaft und kleine Firmen. Jeder bekommt eine Art Grundeinkommen-zu wenig um davon leben zu können-, deshalb gehen viele Bewohner noch einer Arbeit nach. Baut man sich hier ein Haus, so gehört dies Auroville. 

 

Das Hauptziel von Auroville ist es, eine experimentelle Stadt zu schaffen, in der Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zusammenleben können, um die Einheit der Menschheit zu fördern. Die Gemeinschaft basiert auf Prinzipien des Friedens, der Harmonie, der Nachhaltigkeit und der menschlichen Entwicklung. Auroville sollte ein Ort sein, an dem neue Modelle für das Zusammenleben und die Zusammenarbeit entwickelt und getestet werden können.

 

Allerdings ist Auroville nicht ohne Herausforderungen. Interne Konflikte, Finanzierungsschwierigkeiten, unterschiedliche Visionen für die Zukunft und die Balance zwischen Idealismus und praktischen Anforderungen sind einige der Themen, mit denen Auroville konfrontiert ist. Dennoch bleibt die Stadt ein lebendiges Experimentierfeld für alternative Lebensweisen und humanitäre Prinzipien.

 

Von aussen haben wir den Matrimandir (Muttertempel) bewundert, einen in Gold gehüllten Tempel in Kugelform, der etwa 30 Meter hoch und 24 Meter breit ist. Es heisst, dass es im Inneren völlig still ist, da die Kugel ausschliesslich als Raum für die Meditation dient. Dieses Heiligtum zieht zahlreiche Touristen an, und wer ins Innere möchte, muss sich auf eine Warteliste (mindestens 10 Tage) eintragen. Gäste, die in einem Hotel untergekommen sind, erhalten dabei Vorrang. Das bedeutet für mich, dass es nahezu utopisch ist, hineinzugelangen.

 

Nachdem wir wieder am Parkplatz sind, hüpfen wir fröhlich auf unsere Räder und machen uns auf den Weg zum Svaram Sound Garden. Dort haben wir die Möglichkeit, eine Vielzahl an exotischen indischen Musikinstrumenten selbst in die Hand zu nehmen – und wir sind ganz hin und weg von den faszinierenden Klängen, sogar die Steine musizieren! Wie Kinder, die das erste Mal die Welt entdecken, experimentieren wir mit Xylophonen und allerlei Instrumenten aus Metall und Holz und lassen unsere Finger über die Saiten tanzen. Dieses Erlebnis war einfach grandios und so herrlich unerwartet.


Nachtrag vom 03.07.2024

 

Auf unserer Reise durch China begegneten wir zwei Radfahrern, die bis nach Lhasa unterwegs waren. Die Fahrräder waren auf dem Dach eines Vans montiert, und sie begleiteten uns zwei Tage lang. Lily, eine der beiden, wuchs in Auroville auf. Ihre Mutter wollte nicht, dass sie in Deutschland gross wird. Diese Begegnung gab mir einen tieferen Einblick in die Lebensgemeinschaft der Aurovillaner. Es ist ein grosses Privileg, an einem so friedlichen und multikulturellen Ort aufwachsen zu dürfen.

 

Bereits im zarten Alter von drei Jahren kam Lily in Kontakt mit Yoga und Meditation. Der Dalai Lama und viele andere Lamas besuchen diesen magischen Ort regelmässig. Sie erhielt eine hervorragende Schulbildung in Englisch und Französisch. Dank eines Stipendiums durfte sie in England studieren und blickt auf eine wunderschöne, entspannte und friedvolle Kindheit zurück. Ich hätte mir gewünscht, auf ähnliche Weise aufzuwachsen.

Die Kommune Sadhana Forest

Heute sind wir auf Empfehlung eines Instafollowers zum Sadhana Forest, welcher in der Stadt Puducherry liegt, gefahren. Auch hier finden wir eine alternative Lebensform. Die Kommune machte hier aus Ödland einen blühenden Wald. Der Wald wurde vor 20 Jahren aus einem Tropischen Trockengebiet von einer Jüdischen Familie Yorit und Aviram Rozin aufgeforstet. Im 18 bis zum 20. Jahrhundert haben europäische Kolonisten den einst dichten tropischen Trockenwald abgeholzt. In den rund 70 Hektaren wurden über 30000 Bäume gepflanzt. Ein Novum, dass wir so was sehen. Es gibt einige Familien die dauerhaft hier leben und die Kinder die Schule des «Lebens» besuchen. Viele Volunteer, die sich dem alternativen Lebensstil anpassen, sind am Arbeiten und erzählen begeistert vom Projekt.

 

Es ist möglich, sich für eine gewisse Dauer als bezahlter Gast einzumieten und aktiv am Leben teilzunehmen. Die Energieversorgung sichert eine Solaranlage. In der Vergangenheit erzeugten fest installierte Fahrräder mit angekoppeltem Generator Strom für die Batterien vor Ort. Doch wie es in Indien oft der Fall ist, mangelt es an Bereitschaft, solche Einrichtungen instand zu halten. Mit der Zeit verkommen diese Anlagen, wie auch hier, leider zu Ruinen. Schade und nicht nachhaltig wie wir finden.

 

Die sanitären Einrichtungen umfassen Komposttoiletten, deren Exkremente nach der Verarbeitung als Düngemittel verwendet werden. Sie zeichnen sich durch minimale Abfallproduktion, geringen Wasserverbrauch und das Prinzip der Wiederverwertung aus. Die Menschen hier bevorzugen einen veganen Lebensstil. Der Dschungel empfängt uns und umhüllt uns mit dem Gesang der Vögel, während die Geräusche des Dorfes langsam in der Ferne verschwinden. Wir sind wirklich beeindruckt und möchten euch gerne einen Link zu weiterführenden Informationen geben: Link. Es gibt zudem eine Dokumentation mit dem Titel «Full Shade/Half Sun», die die eher unbekannte Geschichte von Auroville und Sadhana Forest erzählt. Der Film regt zum Nachdenken über einen alternativen Lebensstil an, besonders im Hinblick auf die besorgniserregenden Umweltveränderungen, die unseren Planeten betreffen.


Unionsterritorium

Puducherry war bis 1954 Hauptstadt von Französisch-Indien. Heute ist es eines der 8 Unionsterritorium, das als Enklave im Bundesstaat Tamil Nadu liegt. Das Erbe der Kolonialzeit ist im Französischen Viertel, welches wir angesehen haben, mit seinem breiten Boulevard und noblen Restaurants gut besucht. Leider zog ein Sturm auf und wir trampelten so schnell wie möglich durch den pfeifenden Wind und tosenden Wellen retour zum Auto. Fast trocken haben wir das Ziel erreicht. 

 

Ein Unionsterritorium ist ein Verwaltungsgebiet, das direkt unter der Kontrolle der Zentralregierung in Neu-Delhi Indiens steht, im Gegensatz zu den Bundesstaaten, die eine grössere Autonomie haben und eigene Regierungen wählen. Die 8 UTs wurden 2020 gegründet. Jammu, Kaschmir und Ladakh sind ebenfalls UTs. 


Es ist wiedermal Tempelzeit

Der Brihadishavara-Tempel, ein UNESCO-Weltkulturerbe, ist ein beeindruckendes Bauwerk in der südindischen Grossstadt Thanjavur. Die weitläufige Tempelanlage erstreckt sich über ein grosses Areal und umfasst bis zu 15 verschiedene Bauwerke und Schreine. Der Bau begann im Jahr 995 unter der Regentschaft von Rajaraja I und wurde 1010 mit dem Abschluss der Turmspitze des Shivatempels vollendet. In dieser Region stossen wir nahezu an jeder Strassenecke auf prächtige Beispiele alter und neuer Tempelkunst.

 

 

Der Minakshi-Tempel in Madurai ist einer der meistbesuchten Tempel in Tamil Nadu, mit etwa 20.000 Besuchern pro Tag. Dieser Tempel ist der Göttin Parvati und Lord Shiva gewidmet. Der Legende nach haben sie in Madurai geheiratet, und ihr Sohn, der Elefantengott Ganesha, ist ein bekannterer Teil ihrer Geschichte. Eine andere Erzählung, die mit diesem Tempel verknüpft ist, handelt von Indra, dem König der Götter. Er soll eine schwere Sünde begangen haben, indem er einen Brahmanen tötete. Voller Reue verliess er den Himmel und wanderte auf die Erde, wo er unter einem Kadamba-Baum neben einem Teich ein Linga (ein Zeichen Shivas) fand, dass er verehrte. Um das Linga errichtete er einen kleinen Schrein, der heute im Minakshi-Tempel zu sehen sein soll.

 

 

Obwohl es leicht regnet, stört uns das nicht weiter, da wir den Tempel nur von aussen besichtigen können; er öffnet erst in drei Stunden wieder. Glücklicherweise lässt uns ein freundlicher Ladenbesitzer auf seine Dachterrasse, von wo aus wir einen Blick ins Innere werfen können. Auf dem Weg in die Hügel gönnen wir uns noch rote Bananen und andere exotische Früchte, die wir bisher nicht kannten. Die Reise geht weiter, und wir entdecken immer wieder wunderschöne Stellplätze – mal auf blühenden Wiesen, mal unter Palmen oder tief im dichten, grünen Gebüsch. 


Wie man keine Road Tax bezahlen muss

Bundesstat Kerala

 

Kerala ist nicht nur einer der wohlhabendsten Bundesstaaten Indiens, sondern auch die Heimat der bekannten Supermarktkette LULU. Schon in Saudi-Arabien und Oman haben wir diese Kette zu schätzen gelernt und konnten es kaum erwarten, hier wieder einzukaufen. Es ist erstaunlich, wie viel Freude uns einfache Lebensmittel bereiten können, besonders solche, die wir seit langem nicht mehr hatten.

 

Gerade erst haben wir Tamil Nadu verlassen, als uns die Polizei anhält. Sie verlangen die Papiere für das Fahrzeug und fragen nach einer "Road Tax", also einer zusätzlichen Strassensteuer. Wir sind überrascht, denn abgesehen von den Mautgebühren auf den Fastag-Routen haben wir bisher in keinem Land zusätzliche Strassensteuern zahlen müssen. In der Schweiz, zahlen indische Staatsangehörige schliesslich auch keine Strassensteuern, warum sollten wir also hier? Wir bestehen darauf, dass der Polizist uns die Regelung schriftlich zeigt, was er nicht kann. Wir schlagen vor, auf den Polizeiposten zu fahren, um die Angelegenheit zu klären. Doch nach einigen Minuten kehrt er zurück, gibt uns die Papiere zurück und lässt uns weiterfahren. Ob wir wirklich etwas bezahlen müssen, bleibt unklar. Wir werden uns später darüber informieren. Aber jetzt ist es erst einmal Zeit für eine Pause bei einem Kokosnussverkäufer.

 

 

Mittlerweile sind wir echte Kokosnuss-Experten und wissen, dass es grüne und gelbe Kokosnüsse gibt. Die grünen sind lecker, aber die gelben sind einfach himmlisch – süss, saftig und absolut köstlich. Mit einem Arm voll exotischer Früchte geht die Fahrt weiter, hinein in das malerische Hinterland der Westghats. In der Region Munnar erstrecken sich die Tee-, Kaffee- und Gewürzplantagen entlang der Hügel. Kerala liegt direkt am Indischen Ozean, und rund 600 Kilometer der Küste sind von endlosen Stränden gesäumt. Die berühmten "Backwaters", ein Netz aus Wasserstrassen, durchziehen das Hinterland und erstrecken sich über etwa 1900 Quadratkilometer.

 

 

In Kerala sind die Aromen intensiv, und das Essen scharf. Dani schwitzt sich das Wasser aus dem Leib bei jeder Mahlzeit, aber das hält uns nicht davon ab, die Vielfalt der südindischen Küche zu geniessen. Auch wenn es in Kerala heiss zugeht, schätzen wir die herzliche Gastfreundschaft und die malerischen Landschaften dieses aussergewöhnlichen Bundesstaates.


Munnar, Teeplantagen soweit das Auge reicht

Auf dem Weg nach Munnar entscheiden wir uns für eine Wanderung auf den Chokramundi, einen 2’183 Meter hohen Gipfel. Der Einstiegspunkt liegt praktischerweise direkt an der kurvigen Strasse, sodass wir nur aus dem Unimog springen und losmarschieren können. Der Weg führt uns über felsige, steile Passagen und durch hohes, dichtes Grün, das uns fast vollständig umhüllt. Es fühlt sich an, als würden wir durch einen natürlichen, farbenfrohen Tunnel wandern. Nach zweieinhalb Stunden, etwas erschöpft, aber voller Zufriedenheit, sind wir zurück im Unimog, schalten in den ersten Gang und setzen unsere Reise nach Munnar fort.

 

In Munnar angekommen, gehen wir auf Entdeckungstour. Der Ort ist bekannt für handgemachte Schokolade und die riesige Auswahl an Tee. Natürlich können wir nicht widerstehen und kaufen reichlich von beidem. Das lebendige Treiben um uns herum trägt zu einer wunderbaren Atmosphäre bei.

 

Am nächsten Morgen, mit dem ersten Hahnenschrei, brechen wir zu einer Wanderung durch die Teeplantagen auf. Zu unserer Überraschung sind wir die einzigen Wanderer weit und breit. Unterwegs begegnen wir nur einigen Pflückerinnen und Arbeitern. Die Pflückerinnen ernten mit Scheren, die entweder manuell oder elektrisch betrieben werden. Die gefüllten Säcke tragen sie auf ihren Köpfen, während sie geschickt und in munterem Geplauder die steilen Hänge hinaufklettern. Oben auf dem Weg steht eine Waage, an der das Gewicht der Teeernte erfasst wird. Der Verdienst wird dann direkt auf ihre persönliche Karte gebucht. Die prall gefüllten Säcke werden von helfenden Händen auf bereitstehende Lastwagen gehoben.

 

Ein Aspekt, der uns besonders freut, ist, dass wir auf den Feldern keine Kinder sehen. So können wir sicher sein, dass der Tee, den wir bald probieren werden, frei von Kinderarbeit ist. Zurück bei unserem Stellplatz finden wir einen gut sortierten Gemüsestand und versorgen uns mit frischem Gemüse für den Abend.

 

Unser Besuch in Munnar ist eine Mischung aus Abenteuer, Genuss und Einsichten in die lokale Kultur. Die Erlebnisse hier zeigen, wie vielschichtig und faszinierend diese Region ist – ein Ort, an dem man immer wieder Neues entdecken kann.


In den Backwaters von Kerala

Unser Weg führt uns von den Bergen hinab zur Küste, und damit in die Hitze. Unten im Tal erwarten uns über 30 Grad, ein deutlicher Kontrast zu den kühlen Hügeln. Kaum haben wir auf einer saftigen Wiese geparkt, setzen wir uns mit einem iPad hin und schauen uns die Abfahrt von Wengen an. Früher waren wir begeisterte Wintersportler, aber heute sind wir einfach nur froh, nicht im Schnee und der Kälte zu sein.

 

Die Fahrt führt uns vorbei an Kautschukplantagen und beeindruckenden Villen. Diese prächtigen, modernen Gebäude könnten auch in einem Villenviertel in der Schweiz oder Deutschland stehen. Ein Anblick, der in Indien eher selten ist, da viele Häuser hier einfach, zweckmässig, alt und streckenweise ungepflegt wirken.

 

Unser Ziel sind die malerischen Backwaters, genauer gesagt das Dorf Vembanad. Die Backwaters sind ein verzweigtes Wasserstrassennetz im Hinterland der Malabarküste, das sich über 1'900 km² erstreckt, von Kochi im Norden bis Kollam im Süden. Mit unseren Fahrrädern erkunden wir die kleinen Strassen entlang der Wasserwege. Dabei scheuchen wir einige Warane auf und erschrecken uns über eine riesige Schlange, die vor uns vorbeischlängelt.

 

Unterwegs stossen wir auf ein privates Fest zu Ehren eines Neugeborenen. Spontan werden wir eingeladen, daran teilzunehmen. Obwohl wir keinen Hunger haben, werden wir mit einem leckeren vegetarischen Essen auf einem Palmblattteller verwöhnt. Danach dürfen wir an einer kurzen Bootsfahrt teilnehmen und buchen für den nächsten Morgen eine längere Tour, jedoch nicht auf einem der traditionellen Hausboote, sondern auf einem kleinen Boot mit Sonnendach.

 

Der Wecker reisst uns um 6 Uhr aus dem Schlaf, und mit verklebten Augenlidern radeln wir zum Bootssteg. Shashi, unser Kapitän, empfängt uns mit seinem herzlichen Lachen. Die Bootsfahrt durch die idyllischen Kanäle ist eine Freude. Am Ufer waschen die Einheimischen ihre Wäsche und Körper von Hand, und viele sind schon mit der Morgenroutine beschäftigt. Von überall her wird uns zugewinkt, was uns zum Lächeln bringt. Hier gibt es noch keine Spur von der Oberflächlichkeit der westlichen Welt, trotz der vielen Touristen, die täglich vorbeikommen. Es herrscht eine entspannte, authentische Atmosphäre, und die bunte Vogelwelt um uns herum macht den Morgen perfekt.

 

Auf dem Rückweg entdecke ich ein einladendes Ayurvedazentrum und entscheide mich für eine Massage. Es wird ein umfassendes Erlebnis, inklusive einer traditionellen Behandlung mit warmem Öl, das über die Stirn rinnt und den Bereich des "dritten Auges" stimuliert. Die Massage ist unglaublich entspannend, und der anschliessende Aufenthalt in einer Art Einzelpersonensauna ist eine «interessante» Erfahrung. Auch wenn meine Haare danach triefend ölig sind, war das eine wohltuende Erfahrung, die ich gerne wiederholen würde. 

 

Insgesamt ist unser Ausflug zu den Backwaters eine schöne Mischung aus Abenteuer, Entspannung und Begegnungen mit herzlichen Menschen. Ein Ort, den wir sicher noch einmal besuchen werden.


Marari Beach und seine Fischer

Die zweite Nacht in dieser Region verbringen wir an einem ruhigeren, noch malerischeren Ort zwischen Palmen. Das Erwachen ist ein besonderes Erlebnis, denn es klingt, als wären wir mitten in einer Vogelvoliere. Unser nächstes Ziel ist die Küste – wir möchten endlich baden gehen. Im idyllischen Marari finden wir einen perfekten Platz für ein paar erholsame Urlaubstage. Die kleinen Cafés sind charmant, die Musik ist angenehm, und wir fühlen uns sofort wohl. Spannende Gespräche mit anderen Reisenden bringen gute Laune. Es ist bereichernd sich mit Fremde über vielfältige Reisegeschichten auszutauschen.

 

Um drei Uhr morgens bemerken wir gebündelte Lichtstrahlen von Taschenlampen, die durch unsere Fenster streifen. Die Fischer sind bereits auf den Beinen, ihre Boote mit Plastikfolien überzogenen Styroporflossen. Sie nehmen nur das Nötigste mit – eine Wasserflasche und ein grosses Bündel Netz. Sie machen sich auf den Weg ins dunkle Meer, während wir noch schlafen. Als wir um sieben Uhr aufstehen und Sport treiben, kehren die Fischer bereits mit prall gefüllten Netzen zurück. Sie legen die Netze aus und befreien die kleinen Fische von Hand, bevor sie in Eimer voller Wasser transportiert werden. Danach setzen sich die Fischer im Schatten zusammen, flicken die Netze oder spielen Karten – ein friedliches, harmonisches Miteinander unter fleissigen Menschen.

 

 

Heute hatten wir Besuch von der Einwanderungsbehörde. Sie kontrollieren die Pässe und Visa der Touristen, um illegale Einwanderer aufzuspüren, die in Indien untergetaucht sind. Alles verlief ohne Zwischenfälle, und wir können unseren entspannten Tag am Strand fortsetzen.

 

 

Ein interessanter historischer Aspekt: Im Jahr 1509 landeten die Portugiesen an der indischen Küste. Zu dieser Zeit waren die Hindus in Kriege mit arabischen Stämmen verwickelt und baten die Portugiesen um Hilfe. Der Konflikt drehte sich um die vor der Küste liegenden Perlenmuscheln und den Fischfang. Dank der Hilfe der Portugiesen konnten die Hindus den Krieg gewinnen, und als Dank erhielten die Portugiesen 20 umliegende Dörfer. In Anerkennung und Dankbarkeit nahmen die Einheimischen das Christentum an, weshalb wir auch heute noch Kirchen, Kreuze und Grabsteine in dieser Gegend sehen.


Sri Lanka: Mit 60 noch als Backpacker unterwegs

Alle drei Monate müssen wir Indien für mindestens 24 Stunden verlassen, wie es unser Jahresvisum verlangt. Sri Lanka liegt von Kerala aus gesehen praktisch um die Ecke, also entschliessen wir uns für einen Kurztrip dorthin. Unser «Daheim» parken wir am Flughafen Cochin, und der Flug nach Colombo ist fast schon eine Hetzjagd: Dani hat versehentlich eine Powerbank im Aufgabegepäck gelassen, und so musste er, begleitet von Sicherheitsleuten, das Gerät aus dem Koffer entfernen und ins Handgepäck stecken. Bei der Einreisekontrolle gab es ein weiteres Missgeschick: In Danis Visaantrag war er ein Jahr jünger gemacht worden. Nach einer kurzen Korrektur können wir aber unsere Reise fortsetzen.

 

Wir verbringen die erste Nacht in Hikkaduwa, einem überfüllten Strandort, und machen uns am nächsten Tag mit dem Tuk-Tuk auf den Weg nach Galle. Dort finden wir ein charmantes Homestay und übernachten in einem bunten Baumhaus mit Blick aufs Meer. Während unseres Aufenthalts werde ich gefragt, ob ich Yoga unterrichten könnte. Offenbar sehe ich aus wie eine Yogalehrerin, was mich amüsiert. Ich nehme die Herausforderung gerne an, und es macht uns allen Spass.

 

Unser Plan ist es, entlang der Küste zu reisen, da das Hinterland zu viele Touristen anzieht. Also fahren wir mit dem Bus nach Mirissa, wo wir uns wieder mit der Gruppe aus Galle treffen. Sie wollen, dass ich morgens Yoga-Kurse gebe. Ob es an meinen Fähigkeiten liegt oder daran, dass die Kurse kostenlos sind, ist schwer zu sagen. Dani möchte eine Whale-Watching-Tour machen, und obwohl ich skeptisch bin, stimme ich zu. Während der Tour sehen wir fliegende Fische, Delfine und Finnwale. Mir gefällt es nicht, da es sich anfühlt, als würden wir die Tiere jagen. Das ist nicht mein Ding, und ich werde wohl nicht noch einmal an einer solchen Tour teilnehmen.

 

In Tangalle, unserem nächsten Ziel, bleiben wir fünf Nächte und fühlen uns bisher am wohlsten. Die Küste wurde vor 19 Jahren hart vom Tsunami getroffen, und wir hören traurige Geschichten von den Einheimischen. Fast jede Familie hat bei diesem tragischen Ereignis Angehörige verloren, oft Kinder. Abseits der Touristenstrassen sind die Schäden immer noch sichtbar, was zeigt, wie stark diese Katastrophe die Ärmsten getroffen hat.

 

Wir beschliessen, mit dem Zug nach Talpe zu fahren, um dort einige entspannte Tage in einem Beachclub zu verbringen. Tanzende Krebse und Schildkröten in den Wellen gibt es kostenlos dazu. Unsere letzte Nacht verbringen wir in Negombo in einem zweckmässigen Hotel, in der Nähe des Flughafens. 


Wieder Daheim

Zurück am Flughafen finden wir unser «Daheim» unversehrt vor und freuen uns darauf, weiterzureisen. Wieder zu Hause bedeutet auch, dass wir uns wieder auf unsere eigene Küche freuen – das Essen in Restaurants war nicht so unser Ding. Sri Lanka hat uns gemischte Gefühle hinterlassen: Wir fanden die Insel nicht so inspirierend wie erwartet, und das Essen kann mit der indischen Küche nicht mithalten. Doch das Backpacking-Erlebnis hat uns gefallen, und wir könnten es uns vorstellen, es irgendwann in einem anderen Land zu wiederholen.

 

Zurück in Indien geht es für mich an meine Ayurvedabehandlungen. Ich mache eine kurze Kur, da Panchakarma mir zu lange dauert, und geniesse die öligen Massagen und andere Anwendungen. Die Einläufe dann schon weniger. Abends, in unseren gemütlichen Stühlen, geniessen wir die kitschigen Sonnenuntergänge und beobachten Delfine, die sich im Wasser tummeln. Für Dani reicht es sogar für eine Kite-Session. Es ist gut, wieder selbst kochen zu können, da ich mir in Negombo mit extrem scharfem Essen den Magenwand wohl gereizt habe. Mit einer passenden Diät kriege ich das sicher bald in den Griff. So geniessen wir die nächsten Tage in Ruhe und freuen uns auf weitere Abenteuer.


Persönliche spirituelle Gedanken in Tamil Nadu

In Coimbatore liegt das Zentrum der Isha Foundation, gegründet von Sadhguru, einem spirituellen Meister und Yogalehrer. Die Anlage ist beeindruckend: weitläufig, gut besucht und hervorragend gepflegt dank zahlreicher Freiwilliger. Während ich eine Yogaklasse mit anschliessender Meditation besuche, macht es sich Dani draussen im Schatten gemütlich, um der brütenden Hitze zu entkommen.

 

Am Ende der Yogastunde wird auf einer grossen Leinwand für Sadhgurus Kurse, Bücher und andere Angebote geworben. Das ist der Moment, in dem ich mich schnell verabschiede. Ich bin nicht der Typ, der leicht gläubig oder bereit ist, einem spirituellen Führer oder gar einer Sekte zu folgen. Obwohl ich Sadhgurus Ansätze und Ideen schätze, bleibe ich skeptisch. Wieder einmal zeigt sich, dass Glauben oft eine lukrative Einnahmequelle ist. Indien ist das Land der Gurus, Yogis und - leider auch - des spirituellen Missbrauchs.

 

Geschichten wie die von Yogitee oder Osho sind vielen bekannt. Sie verkünden mit engelsgleicher Stimme Zaubereien, die Suchende begierig aufnehmen. Swami Prabhupada, der Gründer der Hare-Krishna-Bewegung, hatte sogar John Lennon und Yoko Ono als Anhänger. Täuscher und Wahrsager, die gegen ein paar Rupien die Zukunft vorhersagen, gibt es hier wie Sand am Meer. Diese Fülle an kulturellen und spirituellen Phänomenen ist einer der Gründe, warum Indien mich so fasziniert. So anders. So fremd. Indien, du hast mein Herz erobert!

 

Ich habe schon einige spirituelle Bücher gelesen und bin oft mitten im Text stecken geblieben. Wenn es heisst, "Der wahrhaft Erwachte kennt kein Ich mehr und keine Wünsche des Ichs", dann weiss ich, dass ich auf diesem Weg nicht weiterkomme. Ich gebe mir Mühe, spirituelle Lehren zu verstehen, aber bei Begriffen wie Nirvana oder Ichlosigkeit komme ich nicht weiter. Trotzdem bleibe ich offen und nehme das mit, was für mich sinnvoll ist.

 

Indien fasziniert nicht nur durch seine Spiritualität, sondern auch durch seine Offenheit und Gastfreundschaft. Der Glaube hier ruft nicht zu Kreuzzügen, Schlachtrufen oder Heiligen Kriegen auf. Es gibt jedoch eine Menge Dinge, die mich nachdenklich machen, vor allem die Frage nach persönlicher Verantwortung. Blumen zu Füssen eines Gottes zu legen, erscheint einfacher als selbst Verantwortung zu übernehmen. 

 

Trotz aller Skepsis verbringe ich täglich Zeit in der Stille, meditiere und mache Atemübungen. Ich liebe es, Mantras zu singen, auch wenn ich bezweifle, dass ich dadurch ein besserer Mensch werde. Der Glaube, der hier zelebriert wird, wirkt manchmal wie ein Opiat: er beruhigt die Sinne und nimmt die Last von den Schultern. Aber letztendlich ist es unsere eigene Verantwortung, ein gutes und aufrichtiges Leben zu führen.


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