Blog #30, Marlene (November 2023, Nordost-Indien)
Zitat von Patandschali, einem grossen indischen Philosophen:
Wenn dich ein grosser Sinn, ein aussergewöhnliches Vorhaben inspiriert, sprengen all deine Gedanken deine Grenzen. Dein Geist übersteigt seine Schranken, dein Bewusstsein weitet sich aus in jede Richtung und du findest dich selbst in einer neuen, grossen und wunderbaren Welt wieder. Schlummernde Kräfte, Fähigkeiten und Talente erwachen, und du entdeckst, dass du grossartiger bist, als du von dir zu träumen gewagt hättest.
Ein weiterer Grund warum wir Reisen!
Eine Reise durch Indien ist ein faszinierendes Abenteuer, das uns unmittelbar mit Spiritualität, Vielfalt und Armut konfrontiert. Indien erstreckt sich über eine Fläche, die fast doppelt so gross ist wie Europa, und beheimatet genauso viele Sprachen wie der ganze Kontinent. In diesem Land zur Ruhe zu finden, kann eine echte Herausforderung sein, da der Strassenlärm und omnipräsent Musik auf uns einwirken. Mal laut, mal leise. Es kann vorkommen, dass morgens die Musik so deutlich zu hören ist, dass wir das Gefühl haben, die Lautsprecher stünden direkt neben unserem Bett. Indien fordert uns heraus und erfordert eine grosse Bereitschaft, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Eine unvergleichliche Fülle von Eindrücken wird uns hier zweifellos erwarten. In den ersten drei Monaten sind wir bereits tief eingetaucht und hoffen, dass es uns auch in den kommenden Wochen in diesem Teil Indiens gelingen wird. Wir nehmen euch gerne mit auf unsere Reise durch die nächsten Wochen...
Wir Zwei haben doch tatsächlich einen Weg aus Nepal gefunden. Selbst ein blindes Huhn findet ab und zu ein Korn oder eben die Grenze. (siehe Blog Nepal)
Die Grenze, die direkt in die Stadt Raxaul übergeht, ist problemlos zu passieren. Indien empfängt uns mit offenen Armen, doch dann geraten wir direkt in einen langen und nervigen Stau. Typisch Indien. In der Stadt versuchen wir vergeblich, unsere SIM-Karten aufzuladen, da der Junge hinter dem Tresen uns nicht helfen will oder kann. Nun gut, eine neue Erfahrung – offensichtlich sind die offenen Arme hier nicht ganz so offen.
Auf unserer Fahrt durch Bihar erblicken wir endlose Müllberge. Kinder wühlen mit blossen Händen darin herum, während dicke, vollgefressene Säue Seite an Seite mit den Kindern nach Essbarem wühlen resp. suchen. Ein ungewohntes und bedrückendes Bild. So viel Armut haben wir noch nie zuvor gesehen und sind dankbar, dass sich das Bild in Westbengalen sichtbar ändert. Ich habe gerade Bihar gegoogelt, es ist der ärmste und wirtschaftlich unterentwickeltste Bundesstaat. Hier in West Bengal strahlen die Menschen wieder, sind auffallend höflich und neugierig. Schön wieder die bunten Sahris wehen zu sehen.
In den nächsten Tagen heisst es für uns, Kilometer zu machen, da wir ja nicht dort angekommen sind, wo wir hinwollen. Jeden Tag starten wir um 6 Uhr morgens in dichtem Nebel und kommen total erschöpft um 17 Uhr an einem schönen Stellplatz an. Sobald die Sonne die Nebelschicht durchdringt, steigt das Thermometer auf 30 Grad und nachts wird es trotzdem angenehm kühl.
Bundesstaat: Assam
Wir haben die nebelverhangene Region hinter uns gelassen und unsere Route führt durch atemberaubende Landschaften entlang endloser Tee-, Ananas-, Bananen- und Reisplantagen.
Wir haben ordentlich Gas gegeben und befinden uns mittlerweile im ersten Bundesstaat Assam der "Sieben Schwestern". Diese sieben Staaten werden auch als "Paradise unexplored" bezeichnet und sind durch einen schmalen Transit, den sogenannten Siliguri-Korridor oder Chicken's Neck, der nur 20 Kilometer breit ist, mit dem Rest des Landes verbunden. Die "Sieben Schwestern" grenzen an Bhutan, Myanmar, Nepal, China und Bangladesch und bilden eine Art Enklave im äussersten Osten Indiens. Wir werden einige von ihnen erkunden und euch daran teilhaben lassen.
Die Bevölkerung spricht Assamesisch und Bengalisch. In Assam wird fast die Hälfte des in Indien produzierten Tees angebaut, hier befinden sich die grössten zusammenhängenden Teeplantagen der Welt. Unser heutiger Schlafplatz liegt ausserhalb der grössten Stadt Guwahati, direkt am Fluss Brahmaputra. Es ist ein unvergessliches Erlebnis und ein grossartiger Moment, den wir mit den Flughunden teilen, die über unseren Köpfen flattern. Der Sonnenuntergang in all seinen prächtigen Rottönen rundet den perfekten Abend ab. Der Brahmaputra ist mit 3000 Kilometern einer der längsten Ströme der Erde. An einigen Stellen ist er über 10 km breit. Der Fluss entspringt in Tibet und mündet in Bangladesch in den Ganges.
Während 5 Tagen findet das Divali Festival statt. Das Lichterfest ist ein bedeutendes mehrtägiges hinduistisches Fest. Überall sehen wir grosse Installationen und Lichterketten. Nachts klingt es wie an unserem 1. August. Wir haben abends keine Lust, uns unter die Menschenmassen zu mischen, und verpassen die Präsentationen, Tänze und die Lichter. Für uns ist weniger mehr, so unser Motto. Doch was uns in den Schlaf begleitet, sind das Knallen der Feuerwerkskörper und das Glühen der Lichter in der Ferne. Ach, wenn die Inder nur Feste feiern können. Das können die gut und machen es oft.
Heute Morgen besuchen wir den Kamakhya-Tempel. Der Tempel ist gut besucht und es herrscht emsiges Treiben der Gläubigen. Doch auch hier werden wir wieder Zeugen von "Priestern", die vorgeben, spirituell zu sein. Diese verlangen Geld für die Rituale, und die Gläubigen zahlen für die heiligen Segnungen.
Bundesstaat: Meghalaya
Wir trauen unseren Augen nicht. Hier sieht es aus wie in der Schweiz. Kartoffelpflanzen wachsen neben Kohl und sicher gibt es hier auch so manche Hohlköpfe. Eine grüne Waldlandschaft und liebliche Hügel begrüssen uns. Die WWF-Ökoregion "Subtrobical Forest" führt Erhebungen in den Bergen und auf den Hochplateaus durch. Diese Gegend zählt zu einer der artenreichsten in ganz Asien. Hier sind aussergewöhnliche endemische Pflanzen- und Tierarten beheimatet. Hunderte von Orchideen, ursprünglicher Reis, Bananen und Zitrusfrüchte stammen aus dieser Region. Also doch nicht ganz wie in der Schweiz.
140 Säugetierarten sind ansässig, darunter asiatische Elefanten, Königstiger und Leoparden, um nur einige Highlights zu nennen. Über 850 Heilpflanzen sind hier gelistet und werden weiterhin als Volksmedizin genutzt. Es gibt keinen sichtbaren Abfall und keine Armut. Kein Gedränge, kein Hupen im Strassenverkehr. Alles wirkt sehr entspannt und angenehm. Die Häuser verfügen über Terrassen, Balkone und sehen anders aus als das, was wir bisher gesehen haben. Die städtische weibliche Bevölkerung trägt Jeans und Sneakers, auf dem Land tragen sie ein Tuch über der Kleidung. Farbenprächtige Saris, die indische Frauen üblicherweise kleiden, sucht man hier vergebens. Besonders in dieser Region sprechen die Menschen kein Hindi, sondern Khasi oder Garo. Die Khasis und Garos sind grosse indigene Völker.
Hier und da lugt auch mal ein Bauchnabel unter dem Shirt hervor. Meghalaya ist einer von drei überwiegend christlichen Bundesstaaten, und die bunten, riesigen Kirchen thronen auf den Hügeln. Christliche Missionsaktivitäten haben einen grossen Teil der Stammesbevölkerung zum Christentum bekehrt. Meghalaya grenzt über eine Länge von etwa 443 Kilometern an Bangladesch. Eigentlich hätten wir auch gerne Bangladesch besucht, aber die Landesgrenzen wurden kürzlich für Touristen geschlossen. Da im Januar Wahlen anstehen, scheint alles in Aufruhr zu sein, und es ist möglicherweise auch nicht so sicher.
Früh aufbrechen, um heute die Root Bridges zu erkunden. Der Pfad ins Tal führt über rund 5.000 Treppenstufen zu den Flüssen. Durch malerische Dörfer und üppig grüne Landschaften nehmen wir die Herausforderung an. Die lebendigen Brücken sind über Jahre hinweg aus den Luftwurzeln der Bäume geformt worden. Diese einzigartige Kunst wird über Generationen weitergegeben.
Wir verlassen den Hauptweg und tauchen noch tiefer in den Wald ein – ein lohnenswerter Entschluss. Ein erfrischendes Bad im Bach und das Konzert der Vögel um uns herum sorgen für pure Entspannung. Unser Durst nach Abenteuer führt uns schliesslich zu den etwas entfernten Rainbow Wasserfällen. Eine kleine Stärkung aus dem Rucksack ist unerlässlich, bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen, die Steinstufen hinauf. Auf dem Weg gönnen wir uns noch ein Bad in einem wunderschönen tiefblauen Pool. Aus Sicherheitsgründen müssen wir uns eine Schwimmweste ausleihen. Für geübte Schwimmer wie uns ist das ungewohnt – und die Weste ist auch viel zu gross. So paddeln wir wie orange Gummienten auf Kopfhöhe zum Wasserfall. Schwimmen ist so nicht möglich, wir versuchen es erfolgreich mit Hundeschwumm.
Das ist so typisch für Indien. Nachdem ein Gast verunglückt ist, wurden Sicherheitsmassnahmen beschlossen. Jeder Besucher muss nun eine kostenpflichtige Schwimmweste tragen, und es gibt nur eine Grösse. Die bereitgestellten Westen sind alt, weisen teilweise defekte Verschlüsse auf und sind unbrauchbar zum Schwimmen. Wir fühlen uns mit diesen Dingen nicht wirklich sicher.
Die Treppen, ich sage euch, sind steil und scheinen kein Ende zu nehmen. Oben angekommen sind wir total erschöpft, und unsere Waden schmerzen.
Wir sind gerade mit happigem Muskelkater in den Waden erwacht und müssen den Morgen mit Stretching starten um in die Gänge zu kommen. Gemächlich fahren wir durch die Gegend, langsam zurück nach Assam. Dani wählte eine Route entlang kleiner Strassen, die uns tief in den Dschungel und durch kleine Dörfer führt. In einem dieser Dörfer herrschte emsiges Treiben auf dem Wochenmarkt, und wir gesellten uns dazu. Bim, ein örtlicher Lehrer, gesellt sich zu uns und erzählt uns viel über unbekannte Gemüse und Früchte.
Zurück beim Auto entdecken wir am Boden unseres Parkplatzes grosse Elefantenfussspuren. Bim erklärt uns, dass während dieser Jahreszeit jeden Abend und jeden Morgen eine Elefantenherde das Dorf durchquert. Es müssen etwa 200 Elefanten sein. Er lädt uns ein, in sein Dorf zu kommen, um dem Spektakel am Abend beizuwohnen. So parken wir unser Fahrzeug neben Bims Haus und sind die ersten weissen Touristen hier, was grosse Aufregung auslöst. Wir trinken Zitronenwasser mit Salz und Zucker, geniessen Früchte direkt vom Baum in netter Gesellschaft der Familie.
Am Abend fahren wir auf dem Rücksitz zweier Motorräder den Elefanten hinterher. Die Bewohner wissen genau, welchen Weg die Elefanten nehmen würden. Plötzlich hören wir Lärm aus der Ferne, jedoch kein Trompeten von Elefanten, sondern Rufe und Schreie von den Dorfbewohnern. Die Leute schlagen Pfannendeckel und andere Gegenstände aufeinander, um die Elefanten von den Häusern fernzuhalten. Mit unseren Taschenlampen leuchteten wir ins Dunkle und können am Horizont wilde Elefantenherde etwa 100 Meter von uns entfernt erkennen. Die Menschen hier haben grossen Respekt vor den Tieren, da es jedes Jahr Tote gibt. Die Häuser sind mit elektrischen Zäunen geschützt, damit die Tiere in der Aufregung nicht alles niedertrampeln. Die Menschen sowie die Elefanten sind in dieser Situation sehr gestresst.
Etwa zwei Monate im Jahr prallt hier gewaltige Natur auf die menschliche Zivilisation. Man vergisst vermutlich, dass die Elefanten schon vor den Menschen hier durchzogen.
Zurück im Dorf findet in der Schule eine Zeremonie für uns statt. Wir werden mit Geschenken geehrt, und Dani trägt am Ende einen Hut, während ich eine Kette und etwa fünf Schals um den Hals trage. Es wird eine Ansprache gehalten, und wir werden Zeugen eines nepalesischen Tanzes. Die meisten Dorfbewohner stammten ursprünglich aus Nepal und sprechen Nepali, zusätzlich zu Hindu und oft auch Englisch.
Es wird ein Feuer entzündet, und heimlich und versteckt selbstgebrannter Reiswein und Reisbier angeboten. Ich bin erstaunt, dass sie nicht unter dem Tisch trinken... Ausserhalb des Feuerscheins ist es stockfinster, und die Männer montieren eine Lampe aus zwei Drähten, einem Stück Holz und einer Glühbirne, die sie mit einem langen Bambusstab an die öffentliche 220V Hauptzuleitung hängen, typisch indisch.
Normalerweise trinken Hindus nicht, aber für uns machen sie scheinbar eine willkommene Ausnahme. Spät am Abend gibt es ein köstliches Paneer-Curry, das von vielen Familien selbst hergestellt wird. Paneer ist ein beliebter Frischkäse in Indien. Mit vollen Bäuchen und vielen neuen Eindrücken über das spektakuläre Leben in Jiribasa legen wir uns schlafen.
Am nächsten Morgen gehen wir gestärkt weiter. Bevor uns die winkenden Dorfbewohner verabschieden, beschenken sie uns mit selbstgemachtem Ghee (Kochbutter) und sehr bitteren Nüssen, die gut für die Verdauung sein sollen.
Wir schlängeln uns seit Tagen entlang von Teeplantagen in Richtung des nächsten Bundesstaates Nagaland. Kaum haben wir unser Fahrzeug geparkt, sind wir wieder von freundlichen, staunenden Menschen umgeben. Wir sind wieder die ersten Weissen - wie cool ist das denn. Nach gefühlt 3.194 Fotos können wir mehr oder weniger ruhig unser Abendessen geniessen. Am Morgen vor der Abreise nehmen wir noch eine Einladung zum Tee an und bestaunen den Bauernhof. Dort gibt es Küken, Ferkelchen und vieles mehr. Ihr Einkommen stammt aus dem Verkauf von Kokosnüssen, Betelnüssen und den Tieren. Zudem züchten sie Seidenraupen und verkaufen die Kokons an einen Zwischenhändler.
Die Mama hat ein grosses Wissen. Mit offenen Ohren lausche ich der Kräuterkunde. So bekommen wir Pflanzen gegen Malaria, Blätter gegen Bauchbeschwerden und Husten mit auf den Weg. Wir sind hier in Malaria- und Dengue-Gebiet und erfahren, dass wir im Falle einer Infektion Papayablätter kochen und den Tee trinken sollen. Gut zu wissen. Mit einem vollen Herzen und viel Gemüse aus ihrem Bestand machen wir uns auf den Rückweg. Uns wird gerade wieder so viel Liebe entgegengebracht und wir lernen täglich dazu.
Heute nehmen wir uns Zeit, den emsigen Teeplückerinnen über die Schulter zu schauen. Im Akkord pflücken sie nur die neuen zarten hellgrünen Blätter und werfen diese gekonnt in den geflochtenen Korb auf dem Rücken. Offensichtlich haben sie unseren Besuch und die Abwechslung genossen, daher durfte ich in aller Ruhe einige Fotos knipsen. Lachend und winkend verabschieden wir uns von den hartarbeitenden Frauen.
Am frühen Morgen geht es auf asphaltierten Strassen, die etwa 3’542-mal ausgebessert wurden, weiter zum Tempel Shiva Dol. Mit seinem 32 Meter hohen Turm ist er der höchste Shiva Turm Indiens. Danach ist es Zeit für einen Boxenstop. Dani wechselt periodisch die Position der Räder, sodass diese regelmässig ablaufen.
Bundestaat: Nagaland
Wir sind im hügeligen Bundestaat Nagaland angekommen. Titzi, ein Dorf, bildet die Grenze zwischen Assam und Nagaland. Ich kaufe Schwarztee und schlendere durch den Markt. Es gibt auf jedem lokalen Markt anderes zu entdecken, und vieles davon ist uns gänzlich fremd. So kann es sein, dass wir auch mal etwas kaufen, das sich für uns als ungeniessbar herausstellt. Dani ist in der Zwischenzeit auf der Polizeiwache. Nein, wir haben gegen keine Regeln verstossen, wir müssen uns lediglich registrieren. Aber seit ehrlich, ihr dachtet sicher: Nicht schon wieder.
In Nagaland sind, je nach Zählweise, 16 Stammesvölker mit ihren Königen/Königinnen ansässig. Die erste Nacht in den Hügeln von Nagaland verbringen wir auf dem Vorplatz einer alten Schule, umgeben von ein paar Wohnhäusern. Wir dürfen ein Strohhaus besichtigen und uns ans Küchenfeuer setzen. Es gibt nur einen Raum, in dem wird gekocht, gegessen und auf hauchdünnen Strohmatten geschlafen. Es gibt zwar Strom und Internetempfang, ansonsten ist die Zeit hier stehengeblieben.
Uwanzac ist gerade zu Besuch bei seinen Grosseltern und spricht gut Englisch. Wir erfahren so viel Spannendes aus erster Hand. Nagaland ist, wie schon Meghalaya, christlich. Der Glaube ist tief verwurzelt. Die evangelischen Baptisten aus den USA haben deutliche Spuren hinterlassen. Bei den Nagas, so nennt man die Bevölkerung hier, handelt es sich um indigene Völker des indischen Nordostens. So soll es hier immer noch etliche Regionen ohne Strom geben, und Hunde und Affen stehen auf dem Speiseplan. Nun gut, am Ende wird einfach ein Tier geschlachtet zum Wohlergehen des Menschen. Solange sie keinen Kannibalismus mehr betreiben sollen, ist es uns egal, wir möchten nicht im Suppentopf landen.
Der Grossteil der Bevölkerung verdient seine Rupien als Bauern, lebt vom Anbau von Ananas, Bananen, Zitrusfrüchten, Passionsfrüchten, Kurkuma, Litschi und Papaya. Auch Kokosnüsse, Betelnüsse, Cashewnüsse und Kaffeeplantagen sind hier anzutreffen.
Heute möchten wir gerne den Angh (König) besuchen. Klingt das nicht wunderbar? In Longwa, einem Dorf an der Grenze zu Myanmar, soll ein König leben, und wir machen uns auf die Suche. Werden wir fündig?
Das Dorf liegt auf einem Hügelkamm. Auf der einen Seite des Hügels befinden sich die Häuser in Indien, auf der anderen Seite in Myanmar. Seit Generationen erstreckt sich das Dorf Longwa über die Grenze der beiden Länder. Als wir ankommen, läuft gerade der Gottesdienst. Die Pfarrer in der Schweiz könnten sich nur davon träumen, von so vielen Gläubigen umgeben zu sein. Nach dem Gottesdienst, der über Lautsprecher nach draussen übertragen wird, werden Bierdosen geschüttelt und zusammen mit Rumflaschen geleert. Ein Pick-up fährt vor, beladen mit Papier, Karton und PET-Flaschen. Alles wird über dem verbotenen Feuerwasser des Teufels ausgekippt und unter dem Beifall und Gejohle der Gemeinde verbrannt. Nagaland ist ein "trockener Staat", in dem kein Alkohol verkauft oder konsumiert werden darf. Hier wird also wörtlich Wasser gepredigt und Reiswein getrunken.
Das Langhaus des Königs liegt genau auf der Landesgrenze und ist für Besucher offen. Der erste Raum ist geschmückt mit Holzkunst und Hörnern von Wasserbüffeln sowie dem Wappentier von Nagaland, dem Mithun. Im grossen Raum sitzen der König und die Dorfältesten für eine Besprechung zusammen. Offenbar werden hier die politischen Entscheidungen getroffen.
Am anderen Ende des Gebäudes befindet sich die Küche, dazwischen liegen die Wohnräume. Die Küche scheint offen für jeden zu sein. Wer Hunger hat, kann hierherkommen und sich verpflegen. Auf der einen Seite in Indien, auf der anderen in Myanmar. Die Landesgrenze führt genau durch die Feuerstelle. Wir können ungestört herumlaufen und uns wohl auch verpflegen, aber wir entscheiden uns dagegen. Wir gesellen uns aber ans Küchenfeuer und unterhalten uns ein wenig. Leider lernen wir den König selbst nicht kennen.
Zurück im Auto, das in Myanmar steht, diskutieren wir, ob wir nun Myanmar auf unserer Weltkarte freirubbeln können. Wir entscheiden uns dagegen, es wird nur freigerubbelt, wenn wir einen Stempel im Pass haben. Myanmar wird also schwarz bleiben, da die Grenzen für Touristen auf dem Landweg seit Corona geschlossen sind. Schade, es wäre ein ideales Transitland in den Osten gewesen. Es wird wohl bei dieser einen Nacht bleiben.
Beim Weiterfahren sehen wir, wie grosse Teile des Regenwaldes durch Brandrodungen zerstört werden, um Platz für neue landwirtschaftliche Flächen zu schaffen. Es werden Bäume und Bambus in grossem Stil gefällt, um als Brennmaterial oder Baumaterial zu dienen. Die meisten Häuser sind aus geflochtenen Bambusstämmen und Strohdächern mit offenen Feuerstellen mitten im Raum gebaut, was zwar sehr schön anzusehen ist, aber bedeutet, dass sie grosse Mengen Holz zum Heizen und Kochen benötigen.
Wir sind schon seit X Tagen auf Strassen unterwegs, die ihren Namen kaum verdienen, und überqueren unzählige Hügel. Es scheint endlos zu sein, und ich habe das Gefühl, dass die Hügel sich nach unserer Überquerung neuformieren und sich erneut vor uns aufstellen. Ich könnte mittlerweile den Radetzky-Marsch hupen. Unnötigerweise gibt es in und vor jedem noch so kleinen Dorf Verkehrsberuhigungsmass-nahmen. Der ganze Weg ist eine einzige Verkehrsberuhigungsmass-nahme, da rast sicher niemand.
Vorbei an unzähligen Dörfern, Schulen und noch mehr Kirchen, teilweise riesige Kirchen, nähern wir uns langsam dem Ziel Kohima, der Hauptstadt von Nagaland. Die Bäume stehen in voller Blüte, als wäre es gerade Frühling. Die Temperaturen liegen tagsüber bei angenehmen 25 Grad und kühlen nachts angenehm ab. Unterwegs machen wir immer mal wieder Halt, um unseren Vorrat an Ananas, Pomelo und Gemüse aufzustocken. Dabei entdecke ich frisch gepressten Zitronensaft in einer vormals als Rumflasche aus Kunststoff wiederverwendeten Flasche. Genau dieselbe Rumflasche, die in Longwa zeremoniell verbrannt wurde. Wohin mag der Inhalt wohl geflossen sein? Wir alle ahnen es.
Die Auswahl an Gemüse hier ist so unbekannt wie noch nie. So kaufen wir eine Knolle für sehr wenig Geld und erkundigen uns nach der Zubereitung. Ich bin nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Das Ergebnis ist jedoch erstaunlich gut und schmeckt ähnlich wie Kartoffeln.
Wir erreichen Kohima, wo in den nächsten Tagen das jährliche Hornbill Festival stattfindet, und stehen zum ersten Mal seit Langem im Stau. Teilweise verharren wir 15 Minuten an derselben Stelle, um dann 100 Meter im Schritttempo zurücklegen zu können um dann wieder stehen zu bleiben. Als wäre das nicht schon nervig genug, verlieren wir hinten rechts Luft aus dem Reifen. Wir bemerken es erst, als der Reifen komplett platt ist und wir auf der Felge fahren. Mitten auf der Strasse halten wir an, es gibt keine Ausweichmöglichkeit, und Dani füllt den Reifen mit dem Luftkompressor auf. Das Gehupe der anderen Verkehrsteilnehmer in dieser Situation muss man einfach ertragen.
Es ist kurz vor Sonnenuntergang, als wir endlich den geplanten Stellplatz erreichen. Dani sichert den Unimog für die Nacht, damit wir nicht in Schieflage geraten. Damit ist das Programm für morgen bereits festgelegt.
Vor dem Frühstück legen wir los. Auch ohne volle Mägen haben wir den Reifen im Eiltempo gewechselt. Wir sind ein gut eingespieltes Team. Beim Anbringen des defekten Reifens an der Rückwand der Box brauchen wir jedoch Hilfe von den umstehenden Zuschauern. Den 70 kg schweren Reifen können wir nicht alleine hochheben, und wir wollen auch nicht den Seilzug bemühen. Wir stehen auf dem offiziellen Parkplatz des Festivals, aber da wir hier mehrere Tage verbringen wollen, ist dies nicht der perfekte Übernachtungsort. Schnell finden wir aber ein ruhiges alternatives Plätzchen.
Das Hornbill Festival ist ein 10-tägiges Ereignis, das gerne von Einheimischen, indischen Touristen und einigen wenigen Weissen, die alle mit riesige Kameras und Stative auffahren, besucht wird. Hier bietet sich die Gelegenheit, die Kultur und das Essen der Nagis hautnah zu erleben. Jeder der 16 Stämme mit deren Morung (Versammlungshaus) präsentiert stolz seine traditionelle Kleidung und verwöhnt uns mit köstlichen Mahlzeiten sowie reichlich Reisbier und -wein. Was das Essen betrifft, lasse ich das mal lieber. Mir ist nicht gerade nach Eichhörnchen, Hund, Seidenwürmern oder Schnecken.
Ausgelassenheit, Stolz und Freude liegen deutlich in der Luft. Es ist schön zu sehen, wie die jungen Menschen mit geschwellter Brust ihre Rituale und Bräuche vorführen. Neben den offiziellen Ansprachen gibt es auch Tanzvorführungen und inszenierte Kämpfe. Wir geniessen das bunte Treiben bis spät in die Nacht und fallen dann erschöpft, aber zufrieden in einen erholsamen Schlaf. Was für ein bereicherndes Erlebnis!
Wir setzen unsere Fahrt durch die hügelige und kurvenreiche Landschaft fort. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir unseren Stellplatz. Kurz zuvor hatten wir einen Zwischenstopp an einer Polizeistation, jedoch nicht aufgrund eines Vergehens unsererseits. Beim Überholen hatte ein Autofahrer unser Fahrzeug gestreift und seinen Rückspiegel beschädigt. Am Unimog ist jedoch kein Schaden erkennbar.
Der indische Autofahrer besteht darauf, dass wir den Schaden begleichen. Daher sind wir zur Polizeistation gefahren, um die Situation zu klären.
Nachdem beide Parteien den Vorfall geschildert haben, ist dem Beamten klar, dass uns keine Schuld trifft. Der Fahrer des anderen Autos kann froh sein, dass der Unimog unbeschadet blieb. Nachdem der formelle Papierkram erledigt ist, setzen wir unsere Fahrt fort, auch wenn wir das für heute geplante Etappenziel nicht erreichen. Egal, denn wir haben den Kühlschrank wieder mit köstlichen Leckereien gefüllt. Hier gibt es Weltklasse-Ananas, Kokosnüsse, Passionsfrüchte und vieles mehr für wenig Geld. Ein wahres Paradies!
Mittlerweile haben wir den Siliguri Korridor hinter uns gelassen. Jeder der vielen Kilometer, die wir in den Seven Sisters verbracht haben, war ein Genuss. Dieser Ausflug ins unbekannte Indien hat sich definitiv gelohnt.
Bundesstaat: Westbengalen
Seit Tagen geniessen wir die Gesellschaft riesiger grüner oder akkurat geschnittener brauner Teesträucher. Wir sind mitten im Darjeeling-Gebiet, das für alle von euch sicherlich ein Begriff ist. Die Hauptstadt ist Kolkata (ehemals Kalkutta).
In Indien sind die meisten Schnellstrassen mautpflichtig. Ähnlich wie auf den europäischen Autobahnen in Italien oder Frankreich müssen an bestimmten Streckenabschnitten "Toll Gates" durchfahren werden, an denen eine Mautgebühr entrichtet werden muss. An unserer Windschutzscheibe befindet sich ein "Fastag Pass", der eine schnelle Bezahlung ermöglichen soll. Man kann sein Konto, das anhand des Autokennzeichens identifiziert wird, regelmässig aufladen. Eine Strecke von etwa 50 km kostet umgerechnet etwa einen Euro. Da wir zusammen mit dem Unimog weniger als 7.500 kg wiegen, werden wir in der Kategorie Auto, Jeep, Van abgerechnet, also der günstigsten Variante. Motorräder und Tuk-Tuks sind gebührenfrei.
Bislang hat das recht gut geklappt. Nun sind wir vollgetankt mit Diesel und Wasser, und der Kühlschrank ist randvoll, wodurch wir nahe an den 7.500 kg liegen. An den Mautstellen in Westbengalen wird bei jeder Einfahrt das Gewicht gemessen. Allerdings erleben wir immer wieder, dass der Mann in der Kabine die Schranke nicht öffnen will, weil wir angeblich zu schwer sind. Auf der Anzeige vor uns leuchtet auch mal 9.200 kg auf!
Wir führen immer wieder dieselben Diskussionen. Nach Vorlage unseres Fahrzeugausweises lassen sie uns aber meistens durchfahren. An einer Mautstelle hilft alles nichts. Der Gate-Chef muss her. Wir verlangen eine Gewichtsmessung auf einer geeichten Lastwagenwaage.
Man ist hier gut ausgerüstet, wir staunen. Tatsächlich, 100 m entfernt befindet sich glücklicherweise eine solche Waage. Die digitale Anzeige im Messhäuschen zeigt 7.390 kg an. Wir können weiterfahren, aber das Problem bleibt bestehen. Sie wollen uns keine Bestätigung ausstellen, die wir an den nächsten Stellen vorweisen können. Wir haben jedoch, ich betone, beide die Nerven verloren und herumgeschrien. Dani hat den Gate-Chef vorgeworfen, dass er seine Kunden mit falschen Gewichtsmessungen bescheisse und sie sollen die Sensoren gefälligst neu eichen. «We will face it.» seine Antwort.
Diese Aktionen erfordern mehr Energie und belasten unser Herz mehr als eine Joggingrunde. Mir graut schon vor morgen. Sind denn hier alle Waagen falsch eingestellt? Ein Versehen? Wir können die Situation entschärfen, indem wir den grossen 250-Liter-Tank leerfahren und nur mit dem kleinen 150-Liter-Tank fahren. Das Tankstellennetz in Indien ist sehr dicht, also kein Problem.
Heute sind wir weiter durch enge Nebenstrassen durch lebendige Dörfer gefahren. Es gibt entsetzlich viele Müllberge am Strassenrand, manchmal sind die Abfälle auch in grossen Säcken in den Gärten aufgetürmt. Arbeiter stehen im Müll und versuchen, Brauchbares wie PET von Unbrauchbarem zu trennen, das dann verbrannt wird. Überall steigt eine schwarze Wolke in den blauen Himmel.
Frühmorgens stehen wir bezeiten auf und fahren die restlichen Kilometer problemlos. Unser Ziel sind die Sunderbans. Wir haben schnell einen Stellplatz gefunden, aber der Besitzer verlangt 500 Rupien (ca. 5,50 Euro) pro Nacht. Dani fragt ihn, ob da die Reinigung des Fahrzeugs im Preis inbegriffen ist. Er versteht den Witz nicht und wir entfernen uns von diesem Platz. Ein paar hundert Meter weiter finden wir einen ruhigen Gratisplatz. Klar, 500 Rupien sind nicht viel Geld, aber sobald wir touristische Orte erreichen, verlangen die Einheimischen das Zehn- bis Fünfzigfache des normalen Preises von den weissen Touristen. Das finden wir nicht in Ordnung.
Die Sunderbans sind die grössten Mangrovenwälder der Erde mit einer Fläche von 10.000 km2. 40% davon liegen in Westbengalen und der Rest in Bangladesch. Die Mangrovenwälder erstrecken sich über das tiefgelegene Überschwemmungsgebiet von Brahmaputra, Ganges und Meghna. Hier sind der vom Aussterben bedrohte bengalische Tiger und der endemische Sundarbans-Baum beheimatet. Unser Ziel ist der Nationalpark, der nur per Boot erreicht werden kann.
Wir fahren zum Bootssteg und erfahren, dass eine Überfahrt zur Insel, von der die Touren starten, 300 Rupien pro Person kostet. Nun ja, das kommt nicht in Frage und so finden wir heraus, dass die lokale Fähre 5 Rupie pro Person kostet. Welche Variante werden wir wohl morgen wählen?
Wir fahren noch ein wenig herum und landen in einem kleinen Dorf, wo wir sehr herzlich begrüsst werden. Besonders unsere Klappfahrräder erregen Aufmerksamkeit. Dani zeigt, wie man sie zusammenklappen kann. Das sorgt in den nächsten Tagen immer wieder für Staunen, er wird jedes Mal wie ein Zauberer bewundert.
Die Kekse, die wir zuvor gekauft haben, verteilen wir und lassen die Kinder mit den Fahrrädern herumfahren. Am Wegesrand und in den Gärten liegen Tontöpfe in verschiedenen Grössen. Der Töpfer zeigt uns, wie er aus einem Klumpen Ton formschöne Gefässe zaubert. Seine Frau kniet am Boden und formt noch einen Rand an einigen der getöpferten Gefässe. Zum Trocknen werden sie in die Sonne gelegt und dann in den Brennofen gestellt. So erleben auch wir unseren eigenen magischen Moment.
Am Morgen setzen wir mit der günstigen öffentlichen Fähre zur Insel über, und – wie so oft – sind unsere Fahrräder unsere treuen Begleiter. Geschickt manövriere ich mein Rad über die unebenen Wege, die über die Deiche führen. Unsere Ankunft erscheint besonders herzlich; die Ortsansässigen sind nicht gewohnt, dass Besucher auf ihren schmalen Pfaden radeln und zwanglos Gespräche führen. Wir streicheln zahlreiche frisch geborene Zicklein in verschiedenen Fellfarben. Da sie inmitten der Dorfgemeinschaft aufwachsen, von den Kindern herumgetragen und liebevoll gestreichelt werden, sind sie sehr zutraulich. Ich könnte sie alle unter meinen Pullover stecken und mitnehmen.
Wir erleben wie Inder, insbesondere die Hindus, in einer friedvollen Koexistenz mit der Natur leben. Ihr Respekt gegenüber allen Kreaturen, sichtbar in ihrer vorwiegend vegetarischen Lebensweise, berührt uns. Die Christlichen in Indien hingegen verschmähen der Genuss von Fleisch nicht. Wir beobachten die Fischer beim Auswerfen ihrer Netze und die Bauern bei der Trennung von Stroh, Spreu und Reiskörnern mit den Dreschmaschinen.
Kaum ist der Tee bestellt, sammeln sich die Dorfbewohner um uns – mit Rikschafahrern in der Mehrzahl. Unsere Fahrräder üben eine faszinierende Anziehungskraft aus. Jeder will eine Runde drehen. Während sie sich am Fahrvergnügen erfreuen, geniessen wir entspannt unser Frühstück. Mit wachsendem Interesse begehren immer mehr Leute eine Testfahrt. Ok, jetzt wird verhandelt. Eine Probefahrt auf einer ihrer Elektrorikschas gegen eine Tour auf meinem Fahrrad. Deal! Geschickt schlängle ich mich, in die Rolle einer Rikschafahrerin versetzt, durch die engen Gassen. Eine erstaunlich coole Erfahrung, handlich sind sie, diese flinken Flitzer.
Wir erkundigen uns für eine Bootsfahrt in den Dschungel. Sie würde um sieben Uhr beginnen und uns am Nachmittag um fünf zurückbringen und kostet 120 Euro. 10 Stunden in der sengenden Hitze auf einem Boot, nein danke. Zudem haben die Touren im Internet mittelmässige Rezensionen. Wir hatten heute einen so tollen und spassigen Tag und verzichten gerne.
Die Sundarbans erfreuen sich bei indischen Besuchern aus Kolkata grosser Beliebtheit, was dazu geführt hat, dass einige Dienstleister, wie Tourführer, Parkplatzbetreiber und Bootsvermieter, zuweilen überhöhte Preise verlangen. Dies betrachten wir kritisch. Jedoch sind wir erfreut zu beobachten, dass die Mehrheit der Einwohner der umliegenden Dörfer ihre Authentizität bewahrt hat.
Auf unserer Reise in den Süden zwängt sich unser Weg durch das belebte Kolkata, wo wir uns entschliessen, einen Abstecher zum Victoria Memorial Hall und dem Mutter Teresa Museum zu machen. Jedoch schwindet im Stau - umgeben von Armut und unweit von Luxusboutiquen wie Gucci und Chanel - unsere Motivation, bei der drückenden Hitze die Sehenswürdigkeiten zu Fuss zu erkunden. Daher können wir nur einige wenige Aufnahmen aus dem Fahrzeug heraus präsentieren. Früher als vorgesehen biegen wir ab auf die Autobahn in Richtung Küste.
Bundesstaat: Odisha
In Odisha gleiten wir vorbei an zahlreichen prächtigen Tempelanlagen und fühlen uns vom Meer magnetisch angezogen, das Salz der Luft erscheint nahezu spürbar.
Nach unserer Ankunft auf einem ansprechenden Stellplatz erleben wir jedoch eine unliebsame Begegnung mit einem aufdringlichen Mann, der sich an unserem Essen vergriff und uns zu einem Standortwechsel veranlasste. Jenseits des Flusses hingegen werden wir vom Tempelpriester herzlich aufgenommen. Kaum habe ich das Auto verlassen, befinde ich mich im Tempel und werde gesegnet. Bereichert durch eine Segnung im hübschen Lakshmi Tempels für Glück, Schönheit und Reichtum, bin ich für das neue Jahr gut gerüstet. In der Nacht lassen uns exotische Laute, eine Art Kreuzung aus Vogelzwitschern und wiehernden Pferden, über deren Ursprung spekulieren. Vermutlich ein «Pferogel».
Weiter geht unsere Fahrt nach Puri, unserem heutigen Ziel. Zwischendurch gönnen wir uns eine Pause mit Kokosnusssaft. In Puri angelangt, erwartet uns der Jagannath Tempel, doch dieser bleibt einem ausländischen Publikum leider verwehrt. Nichtsdestotrotz geniessen wir die Radtour entlang der Küste. Der Strand erinnert an Rimini, gesäumt von bunten Sonnenschirmen - ein lebhafter Betrieb. Im Schatten geniessen wir abermals Kokosnusssaft und beobachten das bunte Treiben der vielen Touristen am Strand mit einem Lächeln.
Zurück im Auto entscheiden wir uns, nach einem abgeschiedenen Ort an der 25 Kilometer langen Sandbank Ausschau zu halten. Glücklich über die Privatsphäre, geniessen wir die erfrischenden Wellen des scheinbar endlosen Meeres. Überwältigt von den Eindrücken stellen wir fest, dass wir nun den indischen Ozean erreicht haben und freuen uns auf die bevorstehenden Wochen, in denen wir die Küstenlinie erkunden werden.
Nach einer angenehmen Erholungsphase setzen wir unsere Reise fort und nehmen uns die Zeit, über ländliche Wege zum Chilika-See zu gelangen. Diese ausgedehnte, seichte Brackwasserlagune ist direkt an der Küste gelegen. Das Gewässer ist durch viele kleine Kanäle mit dem Indischen Ozean verbunden. Der idyllische Chilika-See bietet Millionen von Zugvögeln Lebensraum sowie Brutstätte. In den Wassern der Lagune sind 341 Fischarten, 34 Krabbenarten sowie 28 verschiedene Arten von Krebstieren heimisch. Der Fischreichtum des Sees ist die Lebensgrundlage für schätzungsweise 140.000 Fischerfamilien.
Tourismus findet am Chilika-See bisher nur in geringem Umfang statt und wird vor allem von Einheimischen genutzt. Eine kleine Population von Irrawaddy-Delfinen hat hier ihren Lebensraum, und für Besucher werden Bootstouren zur Beobachtung dieser Tiere angeboten. Wir jedoch verzichten auf diese Option, da wir ohnehin mit einer Fähre den See überqueren müssen. So schliessen wir uns der kleinen Warteschlange an und gelangen als Letzte auf eine gedrungene Fähre, die merklich ins Wasser eintaucht, als Dani mit dem Unimog an Bord fährt.
Die Überfahrt nimmt rund 45 Minuten in Anspruch. Plötzlich ruft jemand: "Dolphin, Dolphin!" Und tatsächlich erkennen wir ein paar Rückenflossen in etwa 100 Metern Entfernung von der Fähre. Das ist wirklich aufregend und wir können unser Glück kaum fassen.
Wie der Hurrikan im Atlantischen Ozean, so ist der Zyklon ein Phänomen des Indischen Ozeans. Diese Wirbelstürme treten häufig vor und nach der Sommermonsunzeit auf. In jedem Küstendorf stehen sogenannte Zyklon-Shelter zur Verfügung, in die sich die Menschen im Ernstfall flüchten können. Die Konstruktionen sind auf robusten Betonpfeilern errichtet und erscheinen sehr stabil. Wir halten das Wetter über unsere Wetter-Apps im Auge. Gerüchten zufolge könnte sich bis Weihnachten ein Sturm im östlichen Bereich des Indischen Ozeans bilden. Wir werden die Situation weiterhin aufmerksam beobachten.
Am darauffolgenden Morgen starten wir zeitig mit unseren Fahrrädern, um die Umgebung zu erkunden – wie es heisst, fängt der frühe Vogel den Wurm. Ein Einheimischer aus dem Dorf schliesst sich uns an und lädt uns nach der Fahrradtour zum Frühstück ein. Wir danken und lehnen ab, jedoch besteht er wiederholt darauf, sodass es uns unmöglich ist, die Einladung auszuschlagen. So finden wir uns bei seiner Familie wieder, die uns neugierig betrachtet. Wir verzehren eine Kleinigkeit und schieben dann unsere Fahrräder zurück zum Wagen. Aus unerklärlichen Gründen hat Dani einen platten Reifen am Vorderfahrrad.
Unser Gastgeber begleitet uns zurück und erwartet bei der Verabschiedung eine Geldzahlung mit der Begründung, er und seine Familie seien arm. Wir sind uns unsicher, wie wir in solch einer Situation verfahren sollen. Wir haben nicht nach seinen Diensten gefragt und es scheint uns ungerecht, eine Einladung aufzudrängen, um uns potenziell ein schlechtes Gewissen zu machen und dann eine Bezahlung zu verlangen. Dies ist uns selten passiert und unsere Vorgehensweise bleibt dieselbe: wir zahlen nicht und erklären das auch so. Armut in Indien zeigt sich anders. Alle haben ein Smartphone, die Tochter trägt ein modernes Tattoo am Arm und sie leben in einem grossen, soliden Haus mit Garten.
Die Dalits, auch als Unberührbare oder Niedergetretene bezeichnet, bilden die unterste Kaste in Indien und sind eine von Armut betroffene, in Slums lebende und sehr dunkelhäutige Bevölkerungsgruppe. Obwohl seit 1950 ihre Rechte offiziell gestärkt wurden, ist Diskriminierung, wirtschaftliche Ausbeutung und teilweise auch Verfolgung und Gewalt durch Angehörige anderer Kasten immer noch ein Teil ihres harten Alltags. Insbesondere in ländlichen Gebieten ist diese Art von Rassismus und Sklaverei bis heute leider eine Realität. Die Diskriminierung wurde offiziell verboten und das Kastensystem abgeschafft, aber in den Köpfen der Menschen ist es noch immer präsent.
In diesen Gegenden konsumieren die Einheimischen häufig ein Pulver aus kleinen Beuteln, indem sie es kauen, einspeicheln und dann mit Schwung ausspucken. Leider landet oft das Beutelpapier neben der ausgespuckten Masse auf dem Boden. Beides finde ich ziemlich ekelhaft. Die Mischung "Pan Masala" soll angeblich den Atem erfrischen und die Gesundheit der Zähne fördern, was ich allerdings stark anzweifle. Sie beinhaltet Zutaten wie Fenchel, Koriandersamen, Pfefferminze, Kardamom, Limette, Arekanuss und Tabak, der für seine belebende Wirkung bekannt ist. Als wir die Mixtur kosten, stellt sich heraus, dass ihr Geschmack ausgesprochen abscheulich ist.
Nicht jeder in Indien besitzt ein Mobiltelefon oder Smartphone. Und selbst wenn, fehlt oft die Infrastruktur in den Wohnungen, um sie aufzuladen, doch für ein paar Rupien kann das Aufladen in einem Laden erfolgen. Wie auch immer, in vielen Haushalten vermisst man Gerätschaften wie Kühlschränke, Waschmaschinen und weitere Haushaltshelfer.
Während eines Halts an einer roten Ampel – ja, bisweilen halten Inder tatsächlich bei Rot – drängt sich plötzlich ein Busfahrer neben Dani und signalisiert mit einem Hupen seine Anwesenheit, strahlt uns an und streckt sein Handy entgegen. Er möchte von Fenster zu Fenster ein Selfie mit uns. Verrückt, diese Inder. Hinter uns ertönt das Hupen, die Ampel wechselt auf Grün.
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